Wenn Aegror nach Jahren des Schweigens die Tore öffnen, strömt kein laues Lüftchen, sondern ein stinkender Schwall epischer Klangmasse heraus. Ihr drittes Album „Reign of Disease“, komplett in Eigenregie geschnitzt, ist eine 50-minütige Lehrstunde in Black-Metal-Finsternis, getränkt in Death-Metal-Galle, ohne Filterschnickschnack oder intellektuelles Übermaß. Seit 2009 wühlen sich die Niederrheiner durch das Thema Krankheit; diesmal lassen sie die außerweltliche Bestie Plaguebreeder über acht Kapitel wüten und zeigen, dass raues Herzblut + eouscge Gitarren + Storytelling noch immer pures Gift ergeben.
Epische Black Metal Klangunterwelt in Perfektion
Der Mix von „Reign of Disease“ klingt, als hätte man eine Rasierklinge in Eiswasser getaucht: klar, kalt, unbarmherzig. Drums rattern in panischen Blastbeats, die Doublebass hämmert wie rostige Kolben, und die Becken zischen, bis es im Trommelfell wehtut. Die Gitarren schichten frostige Tremolo-Wände, sägende Death-Riffs und kurze Clean-Arpeggios übereinander, ohne jemals in matschigen Brei zu kippen. Der Bass brummt nicht nur im Hintergrund, sondern legt giftige Konterlinien unter jede Bridge. Dezente Synth-Schleier lugen nur dort hervor, wo sie die Atmosphäre verdicken, statt sie zu verkleistern. Und ganz vorn keift, und kehlt Narthaas, wechselt fließend zwischen brachialen Growls, gellenden Screams und spoken-word-Flüchen – ein echtes Räudebiest am Mikro.
Abtauchen in die düstere Welt – Song für Song.
„Statesman of the Damned“ schleudert den Hörer ohne Vorspiel in ein Riffgewitter; inhaltlich zeigt der Text in einem Satz, wie ein skrupelloser Politiker seine Seele verkauft und merkt, dass Macht mit Ketten geliefert wird. Nach 70 Sekunden bricht das Stück kurz ab, nur um gleich darauf noch gnadenloser zuzupacken – ein passendes Sinnbild für Machtgier, die sich selbst verschlingt.
„Servant of the Dead“ beginnt mit flackernden Clean-Gitarren, dann rollt eine Mid-Tempo-Walze heran. Ein Leichenbestatter opfert in einem Satz seinen Körperfetisch dem Plaguebreeder, um endlose Kadaver zum Ausschlachten zu erhalten. Melodische Leads kreisen über schweren Doom-Akkorden, während chorartige Flüsternächte das Wort „Verwesung“ quasi spürbar machen.
„Traitor of the Innocent“ dreht anfangs im 7/8-Takt die Schraube der Beklemmung, ehe ein Blastbeat-Inferno losbricht. Die Ein-Satz-Essenz: Ein Kindermörder wird von den Stimmen seiner Opfer in den Selbstmord getrieben. Hier treffen filigrane Tremolo-Figuren auf tonnenschwere Breakdowns – ein musikalischer Albtraum ohne Ausweg.
„Rapist of Minds“ startet tückisch tanzbar, kippt aber rasch in schräge Taktversätze, die so unvorhersehbar sind wie Gehirnströme unter Elektroschock. Der Text fasst sich in einem Satz so: Ein Psychomanipulator baut sich eine Armee willenloser Marionetten und wird dabei von seinen eigenen Gedanken versklavt. Ein dissonanter Tritonus im Refrain brennt sich ein wie ein Elektrode am Schädel.
„Deceiver of Faith“ mischt Kirchenchor-Samples mit Raserei. Inhaltlich in einem Satz: Ein Priester vergiftet die Kommunion, um seine Gemeinde dem Plaguebreeder zu unterwerfen. Triolische Grooves knallen gegen Blastbeats, Weihrauch kippt in Säure – ein Song wie ein umgekehrtes Hochamt.
„Judge of Injustice“ liefert die brutalste Rhythmik der Platte: Stopp-Riffs hämmern, als würde ein Henker den Block reinigen. Ein-Satz-Plot: Eine machthungrige Richterin verurteilt künftig jede Seele im Namen der Seuche. Melodisches Gitarrendoppel erinnert kurz an klassischen Heavy Metal, ehe dissonante Läufe alles Hoffnungshafte zersägen.
Der Titeltrack „Reign of Disease“ entfaltet in acht Minuten ein Endzeit-Panorama: schleppende Akkorde, akustische Zwischeninseln, finale Blast-Eruption. Die Kurzinterpretation: Die Krankheit übernimmt Religion, Politik und Recht – Weltuntergang per Erlass. Hier zeigt sich das ganze Arsenal von Aegror: epische Chöre, messerscharfe Leads, böllernde Drums.
Abschließend kriecht „Metamórphōsis“ heran, erst sphärisch, dann in Stakkato-Doppelbass. In einem Satz: Ein traumatisierter Soldat verwandelt sich in einen lautlosen Virenträger, der alles färbt, was er berührt. Gitarren und Drums verhallen nacheinander, übrig bleibt ein letzter Dissonanz-Atemzug – Kälteschock inklusive.
Konzept: Seelenhatz statt Märchenbuch
Gemeinsam bilden die acht Tracks einen Kreislauf der Verseuchung: Politiker, Bestatter, Kindermörder, Psychiater, Priester, Richterin, die Masse und der Soldat liefern je eine Seele, bis Plaguebreeder acht Opfer beisammen hat. Jede Figur spiegelt eine reale Gesellschaftspest – Machtgier, Nekrophilie, Kindesmissbrauch, Gehirnwäsche, Religionsfanatismus, Justizwillkür, Herdengehorsam, Kriegswahn. Damit wird „Reign of Disease“ zum schwarzen Spiegel: Hör rein, du entdeckst die faulende Stelle vielleicht bei dir selbst.
Wertung
Unser FAzit:
„Reign of Disease“ ist keine zerebrale Kopfgeburt, sondern eine brachiale Sound-Infektion. Glasklar aufgenommen, aber roh genug, um Splitter im Gehörgang zu hinterlassen, verbindet das Album gnadenlosen Black Metal mit Death-Metal-Schlacke, progressiv vertrackten Takten und einer kohärenten Horror-Story. Wer Blastbeats liebt, die wie MG-Salven rattern, Riffs sucht, die nach verbranntem Stahl riechen, und ein Konzeptalbum möchte, das auch ohne Kunsthochschul-Kurzvortrag funktioniert, liegt hier goldrichtig. Aegror liefern keine Heilung, sondern die pure Pest – und genau das macht die Platte so verdammt lebendig.
Kritik von Philipp „Pfnörki“ Gottfried
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